Warum mein Papa?

Gestern Abend standen Sohn und ich im Bad. Wir unterhielten uns darüber, dass ich am vergangenen Wochenende mit einer Freundin Michaels Kleidung aussortiert hatte. Ich habe drei Kleidungsstücke von ihm behalten: ein rosa Shirt, über das wir immer Witze gemacht haben, wenn er es trug. Eine Jacke, auf der der Name seiner Band steht und die er im Rahmen eines Festival-Auftrittes bekommen hatte. Und das Hemd, das er an dem Tag trug als er ins Krankenhaus kam.

Dieses Hemd ist noch in der Krankenhaustüte verpackt, die man mir damals in die Hand drückte, als Michael auf der Intensivstation lag. Sobald ich die Tüte öffne, rieche ich das Parfum von ihm. Wo alle anderen Sachen nicht mehr nach ihm duften, in dieser Tüte ist es genau das Gegenteil.

Gestern Abend also fragte mich Sohn plötzlich, wo er denn das Hemd finden würde, das Papa zuletzt getragen hatte. Ich erklärte es ihm (während ich unter der Dusche stand) und wartete ab. Nach einiger Zeit kam er zurück ins Badezimmer und sagte: „Warum verdammt noch mal, ist eigentlich ausgerechnet mein Vater gestorben?“ Ich sagte: „Weil er krank war und keiner wusste wie sehr krank.“ Sohn war einen Moment still, dann öffnete er Michaels Badezimmerschrank, nahm eines der Parfums raus, die dort noch stehen und sprühte seinen Schlafanzug damit ein.

 

Ein neues Jahr

Wir haben das alte, bescheuerte Jahr verabschiedet. Zu fünft: Mein Sohn, mein Freund, eine Freundin, ihr Sohn und ich. Meine Freundin ist ebenfalls verwitwet. Ihr Sohn ist 1,5 Jahre älter als mein Sohn.

Die „Männer“ haben stundenlang geböllert. Schon zwei Tage vorher was das Thema „Böller“ tagesbestimmend. Haben wir die richtige Auswahl? Haben wir eine ausreichende Menge? Wo könnten zur Not noch welche nachgekauft werden? Ab Mitternacht gab es dann Halten mehr. Michael hätte es gefallen. Noch vor einem Jahr hatte er mit Sohn eine Stunde lang geknallt und Raketen gezündet. Mir selbst war weder nach feiern noch nach böllern. Ich war am 1. Januar einfach nur froh, dass alles vorbei war.

Was erwarte ich von 2016? Alles und nichts. Das letzte Jahr hat mir gezeigt, wie schnell sich das ganze Leben ändern kann. Wie mich vertraute Menschen auf meinem Weg verlassen und neue hinzu kommen. Alles ist ständig in Bewegung. Für mich, die am liebsten alles so belassen hätte, wie es vor einem Jahr war, bedeutet das: Ich muss flexibel bleiben, mich auf Neues einstellen, mich dem Unbekannten öffnen. Das Leben geht weiter (blöder Spruch, der aber stimmt). Ich habe die Wahl, ob es mit mir oder ohne mich weitergeht.