Feedback und Kommentare

Ich wollte einmal schreiben, dass ich mich sehr über das Feedback und die Kommentare hier freue. 

Natürlich schreibe ich in erster Linie, um meine Gedanken loszuwerden. Aber wenn jemand durch meine Texte Mut und Zuversicht oder Trost bekommt, dann ist das ein schönes Gefühl für mich.

Ich habe auch Kommentare bekommen, die mein Leben kritisch sehen und beurteilen, aber das gehört eben dazu, wenn man öffentlich sein Leben ausbreitet. Es kann nicht immer alles allen gefallen. Damit kann ich jedoch gut leben.

Danke an alle, die hier kommentieren oder die mir direkt per Mail schreiben. 

Urlaub

Ich sitze in der Sonne, mein Blick schweift über ein Tal und Weinberge. Ich denke an Michael und ob es ihm hier gefallen würde. 

Er ist seit zwei Jahren tot. Mein Leben hat sich seitdem grundlegend verändert. Ich bin noch einmal Mutter geworden. Und ich werde wieder heiraten. In drei Tagen. Im Urlaub. 

Grab

Nach Michaels Tod war ich einerseits wie gelähmt, andererseits musste so viel erledigt werden. Ich musste mich um die Beerdigung kümmern, einen Bestatter informieren und ein Grab aussuchen. Für mich war sofort klar, dass ich Michael in Ohlsdorf beerdigen lassen wollte, obwohl wir nie darüber gesprochen hatten. Aber dieser Friedhof ist einerseits wunderschön, andererseits wollte ich auch, dass unser Sohn, sollte er es wollen, alleine mit der U-Bahn zum Grab fahren kann.

Der Ohlsdorfer Friedhof ist der größte Parkfriedhof der Welt, wie sollte ich hier den richtigen Platz finden? Meine Freundin fuhr meine Mutter und mich nach Ohlsdorf. Als ich in der Verwaltung erklären musste, warum ich da war, musste ich wieder weinen. „Ich suche ein Grab für meinen Mann, der gestern gestorben ist.“ Dann die ganzen Fragen: Urnengrab, Sarggrab, anonymes Grab oder Baumgrab? Für mich war das zu viel. Ständig habe ich mich gefragt: Was hätte Michael wohl gewollt? Um dann festzustellen: Er hätte am liebsten weitergelebt, das hätte er gewollt.

Wir haben uns Plätze für Urnengräber angesehen. Wir haben uns einen Platz für ein Baumgrab angesehen. Wir haben Orte gesehen, die mich an eine Hundewiese erinnert haben. Orte, die an Massenveranstaltungen erinnert haben. Drei Stunden waren wir mit dem Auto auf dem Friedhof unterwegs und sind alle Plätze abgefahren, die infrage kommen.

Ich wollte kein anonymes Grab. Ich wollte kein Grab, an dem Fahrradfahrer vorbei fahren können. Viele Menschen nutzen Ohlsdorf für einen Ausflug ins Grüne. Aber ich kann nur sagen, dass es schrecklich ist, am Gab zu stehen und auf einmal kommt ein fröhlicher Familienausflug auf dem Rad vorbei. Es gibt auch geführte Rundgänge in größeren Gruppen über den Friedhof, dabei werden bestimmte Gräber besucht. Auch das wollte ich eigentlich nicht in der Nähe von Michael.

Letztlich haben wir eine wunderschöne Nische gefunden, im Hintergrund ein altes Grab auf einem Findling, drum herum liegen Menschen in Michaels Alter und Kinder. Aus irgendeinem Grund wollte ich, dass Michael mit Menschen aus verschiedenen Altersgruppen zusammen ist. Es ist ein Urnengrab geworden, das habe ich einfach entschieden. Wir haben ja nie über Beerdigung und Tod gesprochen.

Als ich abends zu Hause saß war ich froh, das Grab gefunden zu haben. Der Ort fühlte sich richtig an. Das tut er auch noch heute, zwei Jahre später.

Michael

Das ist mein Mann Michael, der heute vor zwei Jahren starb.

Emma_130517

Der 11. Mai 2015

Vor zwei Jahren bin ich morgens voller Hoffnung ins Krankenhaus gefahren. Ich dachte, vielleicht ist Michael ja aufgewacht oder hat die Augen aufgemacht. Als ich auf der Intensivstation ankam sprach mich der Arzt an und fragte, ob ich Zeit für ein Gespräch hätte. Ich habe nichts geahnt, sondern dachte, jetzt werden mir nächste Schritte in der Therapie erklärt. Aber es kam anders. Der Arzt sagte mir, dass sie bei Michael einen Scan des Gehirns gemacht hatten, weil er nicht wach wird. Dabei wurde festgestellt, dass er während der OP mehrere Schlaganfälle gehabt hatte.

Ich verstand erst gar nicht, was mir gerade erzählt wurde. Also wurden mir die Aufnahmen des Gehirns gezeigt und ich konnte sehen, wo es Einblutungen gab und wo nicht. Nun wusste ich, warum er nicht mehr aufwachte. Zusätzlich zu seinem kranken Herzen, das immer noch nicht alleine arbeiten konnte und den geschädigten anderen Organen, war diese Nachricht die absolute Katastrophe und es war klar: Es ist vorbei.

Ich saß in diesem Raum, um mich herum Ärzte und Schwestern, starrte auf den Bildschirm und riss mich zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. Aber es klappte nicht. Ich blieb stumm, aber mir liefen die Tränen runter. Eine Schwester gab mir ein Taschentuch und etwas zu trinken.

Auf dem Heimweg rief ich meine Freundin an. Sie war fröhlich und meinte: „Na, was macht er, hat er sich bewegt?“ Ich konnte nur noch sagen: „Es ist vorbei. Es gibt keine Hoffnung mehr. Er wird sterben.“ Die Sonne schien, die Cafés in Eppendorf waren gefüllt mit Menschen, die Kaffee tranken und sich unterhielten. Ich wankte nach Hause.

The Scientist

Eines der Lieder, die mich durch die Zeit vor zwei Jahren begleitet haben, „The Scientist“ von Coldplay: 

Text:

Come up to meet you, tell you I’m sorry

You don’t know how lovely you are

I had to find you

Tell you I need you

Tell you I set you apart

Tell me your secrets

And ask me your questions

Oh, let’s go back to the start

Running in circles

Coming up tails

Heads on a science apart

Nobody said it was easy

It’s such a shame for us to part

Nobody said it was easy

No one ever said it would be this hard

Oh, take me back to the start

I was just guessing

At numbers and figures

Pulling the puzzles apart

Questions of science

Science and progress

Do not speak as loud as my heart

Tell me you love me

Come back and haunt me

Oh, and I rush to the start

Running in circles

Chasing our tails

Coming back as we are

Nobody said it was easy

Oh, it’s such a shame for us to part

Nobody said it was easy

No one ever said it would be so hard

I’m going back to the start

Oh Come up to meet you, tell you I’m sorry

You don’t know how lovely you are

I had to find you

Tell you I need you

Tell you I set you apart

Tell me your secrets

And ask me your questions

Oh, let’s go back to the start

Running in circles

Coming up tails

Heads on a science apart

Nobody said it was easy

It’s such a shame for us to part

Nobody said it was easy

No one ever said it would be this hard

Oh, take me back to the start

I was just guessing

At numbers and figures

Pulling the puzzles apart

Questions of science
Science and progress

Do not speak as loud as my heart

Tell me you love me

Come back and haunt me

Oh, and I rush to the start

Running in circles

Chasing our tails

Coming back as we are

Nobody said it was easy

Oh, it’s such a shame for us to part

Nobody said it was easy

No one ever said it would be so hard

I’m going back to the Start
Oh ooh ooh ooh ooh ooh 

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Kreuzweg

Die Tage ab dem 4. Mai sind für mich wie eine Art Kreuzweg. Jeder Tag war gefüllt mit Angst, Trauer, einem Hauch Hoffnung, die aber täglich weniger wurde. Ich kann mich an jeden einzelnen Tag bis zum 13. Mai erinnern als Michael abends in meinen Armen starb.

Wenn ich an diese Tage denke, frage ich mich immer wieder, ob er damals wohl sehr gelitten hat? Wieviel er von dem mitbekam, was um ihn herum geschah?

Heute vor zwei Jahren bin ich zum ersten Mal ins Krankenhaus. Ich sah Michael in seinem Bett liegen und er sah gut aus. Abgesehen von den vielen Kabeln sah er wirklich gut aus. Er war frisch beim Friseur gewesen und hatte noch eine leichte Bräune aus dem Skiurlaub. Kein Vergleich zu den Tagen vor dem Krankenhaus, wo er grau wirkte. 

Das gute Aussehen lag an einer externen Herz-Lungen-Maschine, an die Michael angeschlossen war und dank der er überhaupt noch lebte. 

Sein Pfleger Ingo klärte mich über alle Geräte auf und wofür sie gut waren. An diesem Tag hatte ich eine kleine Hoffnung, dass er es vielleicht doch irgendwie schaffen könnte. 

Witwenrente, Sterbegeld

Ich weiß ja nicht wie es anderen Witwen und Witwern mit minderjährigen Kindern geht, aber ich kann klar sagen: Unsere Witwen- und Halbwaisenrente hätte nie ausgereicht, um damit auch nur ansatzweise das Gehalt von Michael auszugleichen. Ich bekomme 740 Euro Witwenrente und 212 Euro Halbwaisenrente für meinen Sohn. Als Michael starb habe ich Vollzeit gearbeitet. Das war meine Rettung. Hätte ich in Teilzeit gearbeitet, hätte ich mir auch noch einen neuen Job suchen müssen. Dass ich dafür überhaupt keine Kraft hatte muss ich wohl nicht betonen. 

Allerdings bedeutete mein Vollzeit-Gehalt auch, das mir die Witwenrente gar nicht ausbezahlt wurde, weil ich zu viel verdiente. Das muss man sich mal überlegen: Da bricht in einer Familie plötzlich ein Gehalt weg und dennoch wird die Hinterbliebenen-Rente nicht ausbezahlt, weil das noch vorhandene Gehalt nach Ansicht des Staates ausreicht. 

Nach Michaels Tod bekam ich von seinem Arbeitgeber, einem großen deutschen Konzern, noch drei Monatsgehälter als Sterbegeld ausgezahlt. Dieses Geld wurde vom Arbeitgeber bereits versteuert (Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag) und ich muss den Betrag, den ich erhalten habe, noch einmal versteuern (mit 41 Prozent). Vorher habe ich mir nie Gedanken dazu gemacht, aber ich bin wirklich erstaunt, wie bei Witwen und Witwern steuerlich zugeschlagen wird. Wenn ich alleine daran denke, welche Kosten man direkt nach dem Tod zu wuppen hat: Beerdigung, alle Alltagskosten wie Miete, Kinderbetreuung, Versicherungen, Auto, möglicherweise weniger Gehalt, weil man gar nicht in der Lage ist zu arbeiten. Das finde ich schon happig. Ein wenig hilft der Staat (abgesehen von der Rente) dadurch, dass man als Witwe im Sterbejahr und im Jahr danach noch in der Steuerklasse für Verheiratete bleiben darf. Aber danach gilt man steuerlich als alleinerziehend mit Kind. Und hat noch weniger Geld am Ende des Monats.

Ich habe, wie schon mehrfach gesagt, viel Glück gehabt, da mich meine Eltern unterstützt haben, Verwandte und Freunde haben Kosten übernommen und ein Sammelkonto für uns eingerichtet, ich hatte einen Vollzeitjob. Andere Verwitwete mit kleinen Kindern haben dieses Glück nicht. Sie müssen mit den Kindern die Wohnung verlassen (weil zu groß und zu teuer), sie müssen schnell eine neue Arbeitsstelle finden, dazu natürlich eine Kinderbetreuung, die einen ganzen Arbeitstag abdeckt (ist wie ein 6er im Lotto). Das ist das absolute Grauen. Vor allem für die Kinder.

Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, aber ich finde, als junge/r Witwe/Witwer ist man ohne ein eigenes soziales Netz komplett aufgeschmissen.