Was sich Trauernde anhören müssen

Ein aktueller Fall macht mich wütend und nachdenklich: Wie kann es sein, dass man sich als Witwe (und Witwer) immer wieder mit dämlichen Kommentaren in seiner Umgebung auseinandersetzen muss? Warum ist der Umgang mit Trauernden anscheinend so schwierig, dass manche Menschen gedankenlos ihren Mist raushauen, ohne darüber nachzudenken, was sie damit anrichten?

Ich durfte mir ja diverse Dinge anhören, u. a.:

  • Ich solle die Beerdigungsorganisation nicht in die Hände meiner Freunde geben, die würden alles an sich reißen 
  • die Trauer müsse nach ein paar Wochen doch sicher schon einfacher geworden sein
  • „Wenn Du Deine Wohnung verkaufen musst, ich kenne da jemanden.“ 
  • Ich dürfe noch keine neue Beziehung haben, da ich nicht zurechnungsfähig sei, ich solle erst einmal eine Therapie machen
  • „Du lässt es ja ordentlich krachen“ (auch  in Bezug auf meine neue Beziehung)
  • Ich müsse abtreiben
  • usw.

Bei anderen Trauernden waren es Kommentare wie z. B.:

  • Komm, Du bist doch jung, Du findest schon wieder jemanden.
  • Ach Du hast nach 1,5 Jahren schon wieder einen Freund? Das ging ja schnell!
  • Man sieht Dich so selten am Grab.
  • Meine Güte, musst Du ständig alte Geschichten von ihm/ihr erzählen?
  • Wie, Du hast seine Sachen noch nicht aussortiert? Er ist doch schon ein Jahr tot.

Meine Bitte: Falls man wirklich nur unsicher ist, lieber nichts sagen und einfach in den Arm nehmen. 

Für den Rest gilt: Gemeinheiten waren noch nie hilfreich. Und „gut gemeint“ entschuldigt auch keine gedankenlosen Kommentare.

Pläne

2015, das Jahr in dem Michael starb, war das erste Jahr, in dem wir bereits im Februar alle Urlaube für das Jahr geplant und gebucht hatten. Vorher hatten wir höchstens den Sommerurlaub ein paar Monate im voraus gebucht. Aber 2015 waren unsere ganzen Urlaubstage durchgeplant bis in den Dezember.

Im März, in den Hamburger Skiferien, fuhren Michael und unser Sohn mit Freunden wie immer zum Skifahren nach Italien. Ich hatte dann „Männerfrei“ und das habe ich auch genossen. So auch 2015. Nur, dass Michael gar nicht mehr richtig Ski fuhr, wie ich nach seinem Tod erfahren habe, weil er sich nicht so fit fühlte. (Ich fange jetzt nicht damit an, wie oft ich gedacht habe: Hätte ich nur geahnt wie es ihm ging, dann hätte ihm vielleicht doch noch geholfen werden können.)

Im Sommer wollten wir mit Freunden und Hund an den Comer See fahren. Endlich wieder Italien. Ich habe stundenlang vor dem Rechner gegessen, um eine schöne Unterkunft zu finden, mit Blick auf den See. Wir haben Restaurants der Umgebung recherchiert und uns schon sehr auf den Sommer gefreut.

Im Oktober sollte es nach Sylt gehen. Michaels Lieblingsinsel. Weihnachten wollten wir  in Hamburg feiern.

Es kam ganz anders als erwartet. Michael starb.

Seitdem habe ich Angst vor langfristigen Plänen. Ich mag nicht mehr monatelang im voraus planen. Es bereitet mir Magenschmerzen.

Aber: Wir haben eine Reise gebucht für Februar 2018.

Ich versuche nicht daran zu denken, dass etwas Schlimmes passieren könnte, sondern dass unsere Tochter bis dahin schon laufen kann. Ansonsten schiebe ich alle schlechten Gedanken von mir fort (also ich verdränge sie schlicht) und konzentriere mich auf schöne Dinge, die ich erlebe. Meine Kinder sind da eine tolle Quelle.

Trauergruppe

Wir sind auf dem Sprung in die Ferien. Der dritte Sommer ohne Michael. Der zweite mit meiner Tochter. Die Zeit rast und tut es doch nicht.

Morgen ist wieder ein Treffen meiner Trauergruppe. Ich war schon lange nicht mehr da. Einerseits würde ich gerne wieder hingehen. Dort kann ich Dinge loswerden, die ich sonst niemandem zumuten möchte. Andererseits habe ich aber immer Angst, dass ich mit meiner Geschichte den Rahmen sprenge.

Es ist ja so, die Treffen beginnen, indem sich jeder kurz vorstellt, erzählt warum er/sie da ist und wie es einem aktuell geht. Ich denke immer, wenn ich anfange mit „Michael ist im Mai 2015 gestorben, im Herbst habe ich einen anderen Mann kennengelernt und bin kurz darauf wieder schwanger geworden, jetzt haben wir eine Tochter, sind verheiratet und mein großer Sohn findet das alles gut, trotzdem trauere ich weiter um Michael.“

Das ist zuviel an Informationen auf einmal. Ich möchte nicht, dass meine Geschichte ablenkt bzw. zuviel Raum einnimmt und ich glaube, das könnte sie.Ich habe auch schon mal überlegt, ob ich einfach den Teil mit Mann und kleinem Baby weglasse. Aber warum sollte ich, das ist schließlich mein jetziges Leben.

Mir selbst hat die Geschichte einer anderen Witwe aus Luxemburg Mut gemacht (Stippi, ich danke Dir in Gedanken so oft dafür). Sie schrieb im Trauerforum www.verwitwet.de offen darüber als sie nach dem Tod ihres Mannes und ihres Kindes einen neuen Mann kennenlernte. Ich las diese Geschichte relativ kurz nach Michaels Tod und dachte: „Ok, das Leben kann also doch auch positiv weitergehen.“ Das war für mich bis dato unvorstellbar. Und es hat mich hoffen lassen. Darauf, dass mein Leben mit 43 Jahren noch nicht vorbei ist. Darauf, dass ich irgendwann vielleicht wieder so etwas wie Liebe spüren könnte.

Es kann also sein, dass auch meine Geschichte Mut machen könnte. Aber es ist eben doch etwas anderes, sie anonym im Internet aufzuschreiben als sie den Leuten direkt zu erzählen. Außerdem macht meine Geschichte manche Menschen auch wütend. Noch traue ich mich nicht wieder in die Trauergruppe.

Gute Tage, traurige Momente

In meinem Leben überwiegen die guten Tage. Das liegt vor allem an meinen beiden Kindern, aber natürlich auch an meinem neuen Mann (ich habe immer noch keine schöne Formulierung gefunden, neu und alt, tot und lebendig, das trifft es alles nicht). Dennoch holt mich die Trauer immer wieder ein. Damit meine ich nicht, dass ich an Michael denke. Das tue ich jeden Tag. Damit meine ich, dass ich den Schmerz auf einmal so intensiv spüre, dass ich weinen muss.

Die Auslöser dafür können ganz unterschiedlich sein: Musik, ein Duft, eine bestimmte Formulierung, die Michael immer genutzt hat. Aktuell war es ein Artikel, in dem eine englische Autorin beschreibt, wie ihr der Tod ihrer jüngeren Schwester zu schaffen macht. Die Erwartung, dass ihre Schwester jeden Moment um die Ecke kommt oder bei ihr anruft. Der Wunsch mit ihr über bestimmte Dinge zu sprechen, oder ein Witz, der ihr sicher gefallen hätte. Aber all das geht nicht mehr, denn sie ist ja tot. Die Gespräche mit ihr abends vor dem Einschlafen. Wenn sie mit anderen Menschen über ihre Schwester spricht, sie gemeinsam in Erinnerungen schwelgen. Das ist einerseits wunderschön, aber andererseits eben auch sehr schmerzhaft.

Ich spreche oft mit Michael, auch laut, meistens, wenn ich draußen unterwegs bin und den Kinderwagen schiebe. Dann rede ich, stelle ihm Fragen – und bekomme natürlich keine Antworten. Nur manchmal habe ich das Gefühl, ich spüre ihn wirklich um mich herum, als ob er da wäre oder mir zumindest ein kleines Zeichen gibt, dass seine Energie gerade bei mir ist.

Heute Morgen fehlt er mir sehr. Weil ich diesen Artikel gelesen habe und so vieles wieder erkannt habe. Ich weine in die Tastatur und möchte ihn so gerne noch einmal in den Arm nehmen. Geht nicht, ist schon klar.

Ich backe jetzt einen Kuchen, das lenkt mich ab. Und die Kinder freuen sich hinterher.