Trauer (richtig) verarbeiten

Als ich wenige Monate nach Michaels Tod die Beziehung mit meinem heutigen Mann einging habe ich unter anderem folgenden Satz sehr oft gehört: „Du hast Deine Trauer doch gar nicht richtig verarbeitet.“ Was dann als Argument dafür genommen wurde, dass ich meine neue Beziehung nicht so schnell hätte beginnen dürfen. Auch heute noch fallen manchmal solche Bemerkungen.

Seit Michaels Tod sind inzwischen fast 3,5 Jahre vergangen und ich frage mich immer noch, wie dieses richtige „Trauer verarbeiten“ denn konkret aussehen soll?

Die Trauer verändert sich, natürlich. Der Schmerz ist nicht mehr so frisch, so allgegenwärtig. Aber er ist und bleibt da. Ich denke jeden Tag an Michael und vermute, das wird auch so bleiben. Ich weine noch um Michael. Immer mal wieder. Es gibt Phasen, da ist es stärker und es gibt Phasen, da weine ich weniger.

Aber ich bin auch glücklich. Ich habe zwei gesunde Kinder. Ich habe wieder einen wunderbaren Menschen kennengelernt, der mich und meinen Sohn, mit all unserem Trauergepäck, liebevoll angenommen hat. Der mit uns eine neue Familie gegründet hat. Der uns trauern lässt, mit uns auf den Friedhof geht, mit uns über Michael spricht, der für unsere Vergangenheit weiterhin Raum in der Familie lässt.

Wo also, frage ich mich, habe ich meine Trauer nicht richtig verarbeitet? Was habe ich denn vergessen? Was sollte ich noch tun? Wann merke ich denn: Ok, jetzt ist der Zeitpunkt da, ich habe meine Trauer verarbeitet und zwar richtig?

Meine Meinung: „Trauer muss man richtig verarbeiten“, dieser Satz ist Blödsinn und macht nur unnötigen Druck. Wer glaubt, einem trauernden Menschen sagen zu können, was im Rahmen einer Trauer richtig und falsch ist, der hat etwas nicht verstanden – nämlich dass Trauer individuell ist, genau wie das Leben. Was also für den einen Trauernden funktioniert gilt noch lange nicht für den anderen.