Trauer (richtig) verarbeiten

Als ich wenige Monate nach Michaels Tod die Beziehung mit meinem heutigen Mann einging habe ich unter anderem folgenden Satz sehr oft gehört: „Du hast Deine Trauer doch gar nicht richtig verarbeitet.“ Was dann als Argument dafür genommen wurde, dass ich meine neue Beziehung nicht so schnell hätte beginnen dürfen. Auch heute noch fallen manchmal solche Bemerkungen.

Seit Michaels Tod sind inzwischen fast 3,5 Jahre vergangen und ich frage mich immer noch, wie dieses richtige „Trauer verarbeiten“ denn konkret aussehen soll?

Die Trauer verändert sich, natürlich. Der Schmerz ist nicht mehr so frisch, so allgegenwärtig. Aber er ist und bleibt da. Ich denke jeden Tag an Michael und vermute, das wird auch so bleiben. Ich weine noch um Michael. Immer mal wieder. Es gibt Phasen, da ist es stärker und es gibt Phasen, da weine ich weniger.

Aber ich bin auch glücklich. Ich habe zwei gesunde Kinder. Ich habe wieder einen wunderbaren Menschen kennengelernt, der mich und meinen Sohn, mit all unserem Trauergepäck, liebevoll angenommen hat. Der mit uns eine neue Familie gegründet hat. Der uns trauern lässt, mit uns auf den Friedhof geht, mit uns über Michael spricht, der für unsere Vergangenheit weiterhin Raum in der Familie lässt.

Wo also, frage ich mich, habe ich meine Trauer nicht richtig verarbeitet? Was habe ich denn vergessen? Was sollte ich noch tun? Wann merke ich denn: Ok, jetzt ist der Zeitpunkt da, ich habe meine Trauer verarbeitet und zwar richtig?

Meine Meinung: „Trauer muss man richtig verarbeiten“, dieser Satz ist Blödsinn und macht nur unnötigen Druck. Wer glaubt, einem trauernden Menschen sagen zu können, was im Rahmen einer Trauer richtig und falsch ist, der hat etwas nicht verstanden – nämlich dass Trauer individuell ist, genau wie das Leben. Was also für den einen Trauernden funktioniert gilt noch lange nicht für den anderen.

6 Gedanken zu „Trauer (richtig) verarbeiten

  1. Stefanie

    Könnte das etwas sehr Deutsches sein? Es gibt ja auch in der Umkehrung diese Schnacks: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Usw.
    Also, man darf nichts Schönes erleben, sich nicht ausruhen, solange noch irgendwelche Pflichten warten. Als gäbe es überhaupt einen Punkt, an dem man alles erledigt hätte.
    Das sind so komische innere Glaubenssätze, die selbst dann noch wirken, wenn man längst geschnallt hat, dass nie alle Arbeit getan ist.

    Bei Trauer ist es sicherlich noch viel schwerer, sich davon frei zu machen. Besonders wenn unsensible Menschen einem auch noch die Psyche vernebeln.

    Liebe Grüße, Stefanie

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  2. Bettina

    Gibt es den Zeitpunkt, an dem man die Trauer verarbeitet hat? Ist man dann fertig damit?

    Mein Mann ist jetzt beinahe 6 Monate tot, morgen hätte er seinen 50igsten Geburtstag gefeiert. Ich bin gerade wieder in einem Trauertal, da es zur Zeit ganz schwer ist, da die Erinnerung an ihn wieder ganz präsent ist. Da er mir im Moment wieder unendlich fehlt.
    Es ist anders geworden in den letzten Monaten und Wochen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendwann mit der Trauer „fertig“ bin und „das Kapitel ganz abgeschlossen“ sein wird.
    Ich glaube, dass mich die Trauer den Rest meines Lebens begleiten wird, mal heftiger, mal mehr im Hintergrund. Aber sie wird immer da sein, da mir mein Mann immer fehlen wird.
    Es ist doch schön, wenn man jemanden findet, der das gemeinsam mit einem aushält. Der dem Leben eine neue Perspektive gibt. Und wann ist es zu früh? Ab wann ist es passend? Das kann man doch nicht planen?

    Jede Witwe/jeder Witwer sollte das tun, was sich für ihn richtig anfühlt und sich nicht vom Urteil anderer beirren lassen. Verstehen kann das aber wohl nur jemand, der auch schon in diesen Schuhen gegangen ist…

    Liebe Grüße
    Bettina

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  3. munin und hugin

    Bereits 14 Tage nach dem Tod meiner Frau versuchte ich es mit einer ersten Kontaktanzeige. Ich erlebte mich wie einen Halbertrunkenen nach Monaten des Entsetzens, der erstmalig wieder atmen durfte. Mit meiner Frau war das schon früher so abgesprochen. Wir wussten darum, dass der andere im Falle des Zurückbleibens alleine unendlich leiden würde. Viele Wunden entstehen erst in der Trauer. Doch wie durch einen Arrest wird der Trauernde gemieden, um ihn vermeindlich zu schonen. Dabei will das Umfeld sich in seinem Alltag nur nicht stören lassen. Wer trauern muss, stirbt zweimal. Gerne hätte ich mir das in diesem Ausmaß erspart. Aber meine Suche nach wiedererfüllter Nähe stieß nur auf blankes Entsetzen. Ich hatte mich eines Sakrilegs schuldig gemacht.

    Natürlich wird mich meine verstorbene Frau immer begleiten. Solange ich lebe, lebt noch ein Teil von Ihr. Aber ist das Trauer?

    Nach nunmehr zwei Jahren habe ich vieles gelernt, über mich, über meine Fähig- und Unfähigkeiten, über die vielfältigen Möglichkeiten menschlicher Trennung und dem Nebeneinander all jener, die meinen, einen Partner zu suchen. Es ist ein riesiger gut gefüllter Irrgarten und ich freue mich über jene wenigen Glückskinder, denen eine späte zweite Jugend zuteil wurde.

    Miriam, Du hast alles richtig gemacht.

    LG Herbert

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  4. laufgurke

    Liebe Miriam,
    die von mir sehr geliebte NENA hat im Zusammenhang mit dieser Thematik sinngemäß gesagt: Man kann sowas nicht verarbeiten. Wenn man etwas verarbeitet, ist es ja weg oder etwas anderes geworden. Aber Trauer geht nicht weg und wird auch nichts anderes. Es bleibt Trauer. Man kann nur eine andere Sichtweise auf die Dinge lernen.

    Wann man bereit ist, für ein neues Leben, kann man weder genau datieren noch selbst beeinflussen.
    Die lieben Mitmenschen mit ihrer Küchentischpsychologie wissen es immer ganz genau. Aber gut, so lange man so etwas selbst nicht erlebt hat, weiß man nicht, was da mit einem passiert. Nur muss man auch nicht alle „Weisheiten“ an den „Mann“ bringen. Ich finde auch die Aussage „Sie hat ihren Mann verloren, sie will unbedingt die Lücke füllen.“ ziemlich dämlich. Als ob man schusselig wäre und dabei seinen Mann irgendwo verlegt hätte. Die Lücke, die ein geliebter Mensch hinterlässt, ist nicht zu füllen. Der Platz wird immer leer bleiben. Wie wunderbar, wenn man jemanden findet, der einen neuen Platz einnehmen kann. Bemerkenswert auch immer die Aussage „Naja, so lange waren sie ja noch nicht verheiratet, da nimmt sie es nicht ganz so schwer“. Es gibt Paare, die haben sich nach 40 Ehejahren nichts zu sagen und dann gibt’s da Paare, die sehen sich und tiefer kann eine Liebe nicht sein. Gerade wenn man einmal so eine tiefe und schöne Liebe hatte, möchte man so etwas wieder haben.

    Ich denke, die Trauer wird bleiben. Eigentlich hoffe ich das sogar, denn es ist ja das Zeichen, der Beweis, das meine Liebe echt war. Aber ich hoffe auch, dass sie sich wandelt. In Dankbarkeit und Stolz, die Frau eines so tollen Menschen gewesen zu sein.
    LG Gritt

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    1. Miriam

      Liebe Grit, wenn ich aufzählen würde, was ich alles zu hören bekommen habe, wäre ich wahrscheinlich stundenlang beschäftigt. Es liegt wohl im Wesen des Menschen, seine Meinung – ungefragt und tw. gedankenlos – abgeben zu müssen.
      Ich finde Deinen Gedanken schön, die Trauer könne sich wandeln in Dankbarkeit und Stolz. Genau so geht es mir, wenn ich an Michael denke. Allerdings bleibt die Trauer trotzdem, sie ist nur nicht mehr allgegenwärtig, wie eine Zwangsjacke, die ich anhabe. Sie ist eher wie ein Stein, den ich mit mir trage. Er ist da, ich kann ihn anfassen, manchmal vergesse ich, dass er in meiner Tasche steckt, aber dann stoße ich mit der Hand dagegen. Wenn ich den Stein festhalte, wird er warm. Liebe Grüße Miriam

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      1. Marion

        Liebe Miriam,
        der Vergleich mit dem Stein gefällt mir sehr! Genauso geht es mir. Ich bin nun schon fast fünf Jahre verwitwet. Ich habe keinen neuen Partner, vermisse Zweisamkeit aber sehr, aber mir ist noch kein Mann begegnet, der mich wirklich berührt. Du hattest dieses Glück, zu welchem Zeitpunkt spielt überhaupt keine Rolle. Den entscheidet man sowieso nicht selbst. Du hast alles richtig gemacht, die Menschen denen das zu früh war, sind wahrscheinlich die, die im anderen Fall sagen würden: Was Du bist immer noch alleine, Du solltest Dir einen neuen Partner suchen. Ganz einfach, weil sie bestimmen möchten, was richtig und was falsch ist und wann was zu geschehen hat. Ich kann mir vorstellen, dass solche Äußerungen sehr weh tun. Du hast eine tolle Familie mit Michael im Herzen und machst mir mit Deinem Blog immer wieder Mut. Danke dafür!
        Liebe Grüße Marion

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