Freunde

In der Trauergruppe ging es gestern u. a. auch um das Thema „Freunde“. Fast alle aus der Gruppe hatten ein und dasselbe Erlebnis: Es gibt Freunde, die verschwinden plötzlich. Als seien sie ebenfalls gestorben. Einige melden sich wieder, manchmal nach Monaten oder Jahren. Andere bleiben für immer weg.

Ich habe ja auch schon mal davon berichtet, dass sich einige Freunde meines Mannes seit seiner Beerdigung nicht mehr bei mir gemeldet haben. Und mir geht es wie meinen „Mitstreitern“ in der Trauergruppe: Ich bin verletzt. Zu dem Schmerz, den der Alltag ohne Mann für mich täglich bereit hält, kommt auch der Schmerz um den Verlust dieser Freunde. Dabei geht es mir nicht um mich, sondern vielmehr um meinen Sohn. Warum wollen sie nicht mal wissen, wie es ihm geht? In ihm lebt immerhin ein Teil ihres verstorbenen Freundes weiter.

Ich bin auf diese Freunde ziemlich sauer. Selbst wer Sorge hat, was Falsches zu sagen und sich deshalb erst gar nicht meldet: Ich kann nur sagen, lieber etwas Falsches sagen als gar nichts.

Es bringt auch gar nichts, darauf zu warten, dass ich mich einmal melden werde. So nach dem Motto „Wenn sie so weit ist, wird sie sich schon rühren“. Nein, wird sie nicht. Bis ich wieder die Kraft habe, aktiv auf Menschen zuzugehen, bis dahin ist der Zug abgefahren. Allein schon meine engsten Freunde um Hilfe zu bitten kostet mich unendlich viel Kraft. Ich weiß nicht warum, vielleicht aus der Furcht „jammerig“ zu wirken oder den anderen auf den Geist zu gehen, schließlich haben sie schon so viel für mich getan. Ich habe auch eine gewisse „ist-doch-egal“ Haltung angenommen. Dann kann ich halt zu Hause nicht drucken, weil ich nicht weiß wie das mit dem neuen Wlan funktioniert. Drucke ich eben woanders oder schreibe die Briefe von Hand. Mir ist gerade vieles egal.

Mein Rat an alle, die nicht wissen wie man mit jemandem umgeht, der seinen Partner verloren hat: Seid aktiv, kommt unangemeldet vorbei, bringt Essen mit oder was zu trinken (denn Einkaufen hat gerade keine Priorität), fragt in unregelmäßigen Abständen nach, ob euer Freund Lust hat, sich mit euch zu treffen oder einen Spaziergang zu machen oder sonst irgendwas. Lockt die Trauernden aus ihrer Höhle. Aber lasst sich nicht einfach alleine, weil ihr euch unsicher fühlt.

Ich habe das unglaubliche Glück, dass aktuell immer genügend Menschen in meiner Umgebung sind, die sich instinktiv so verhalten, dass es mir gut tut. Da fallen die anderen nicht mehr so stark ins Gewicht, aber ich denke trotzdem oft an sie. Und daran wie mein Mann das gefunden hätte.

Und wieder Wellen

Ja, die bereits bekannten Wellen, die mich durch meine Trauer tragen. Gestern ging es schön runter.

Ein nichtiger Anlass: Ich habe einen Termin in einer Ambulanz im UKE ausgemacht. Eigentlich hatte ich schon im Mai einen Termin, aber drei Tage zuvor war mein Mann dort gestorben. Den Termin habe ich vergessen. Gestern also rief ich wieder an, um einen neuen Termin auszumachen. Ich habe mich auch gleich entschuldigt und erklärt, warum ich im Mai nicht gekommen bin. Das hat die Dame am anderen Ende der Leitung aber nicht interessiert. Sie tat so, als ob ich einfach den Termin verbaselt hätte und hat mir einen neuen gegeben: im November. Keine Empathie, kein gar nichts. Das hat mich aus der Bahn geworfen. Zuerst habe ich im Büro auf der Toilette geheult und dann abends zu Hause.

Ich versuche jeden Tag als einen Schritt in mein neues Leben zu begreifen. Ich will diesen Weg nicht gehen, aber ich habe ja keine andere Wahl. Ich will mein altes Leben zurück. Aber das ist vorbei.

In zwei Tagen kommt mein Sohn von seiner ersten Sommerreise zurück. Er fehlt mir, gleichzeitig hoffe ich, dass er eine schöne Zeit hat, mit mehr glücklichen als traurigen Momenten. Er wird einen Tag in Hamburg sein und dann wieder für zwei Wochen verreisen. Die Sommerferien sind lang. Er soll sich ablenken.

Ich versuche mich mit Arbeit abzulenken. Gelingt mäßig. Oft driften meine Gedanken ab. Ich werde täglich mit dem ehemaligen Arbeitgeber meines Mannes konfrontiert. Wir arbeiten in derselben Branche. Dann denke ich an ihn, an die letzten Wochen, an die letzten Tage mit ihm. Eigentlich wären wir gerade mitten in unserem Sommerurlaub am Comer See. Jetzt sitze ich in Hamburg. Alleine.

Ich will mein altes Leben zurück.

Müde

Früher habe ich Menschen nicht verstanden, die die einfachsten Dinge nicht gebacken bekommen haben. Für die schon der Gang zur Post oder zur Reinigung schwer war. Jetzt bin ich selbst so weit.

Ich arbeite meine 40 Stunden pro Woche, mein Sohn ist gerade mit Freunden in den Ferien, ich versorgen zu Hause die Katzen und gieße die Blumen auf dem Balkon. Aber alles was noch on top dazu kommt nervt.

Aktuell stresst mich:

  • Einkaufen
  • Wäsche waschen
  • Altpapier und Altglas wegbringen
  • Anrufe tätigen (ich renne immer noch diversen Versicherungen und Behörden hinterher)
  • mich mit Freunden verabreden (ich will nur ins Bett)
  • zur Post gehen …

Gestern war eine Nachbarin zu Besuch da, die gleichzeitig auch Psychologin ist. Sie sagte zu mir: „Kein Wunder, dass Du permanent erschöpft bist. Parallel zu Deinem Job und Deinem Alltag verarbeitest Du gerade den Verlust Deines Mannes. Du bist permanent mit Deiner Trauer beschäftigt, auch wenn Du arbeitest oder andere Dinge erledigst, im Unterbewusstsein läuft das weiter. Und das strengt Dich an. Du besteigst gerade zwei Berge gleichzeitig.“ Ich fand, das war eine gute Erklärung.

Er fehlt

Heute Morgen ist eine Glühbirne in unserer Küche durchgebrannt. Ich habe an dieser Lampe noch nie eine Glühbirne gewechselt und dachte „Und nun? Wer tauscht das aus?“ Ich selbst vermutlich, wird so schwer schon nicht sein. Ich mache mir auch selbst den Cappuccino morgens, bringe Altglas und Altpapier weg. Kümmere mich um die Steuer 2014.

Ich liege abends in unserem neuen Bett, seine Seite ist nicht abgedeckt, blicke in den Himmel über Hamburg und bin alleine. Mein Mann war großartig. Ein Lebemann, sehr groß, gutaussehend, unglaublich intelligent, charmant, inspirierend, hatte einen tollen Witz. Er war auch launisch und manchmal ungerecht. Insgesamt würde ich immer sagen, er war meine große Liebe. Hätte ich ihm vielleicht mal öfter zu Lebzeiten sagen sollen.

Ich spüre noch genau, wie sich seine Haare anfühlen und seine Haut. Wie es sich angefühlt hat, wenn er mich in den Arm genommen hat. Ich bin sehr klein und ging ihm gerade mal bis zur Brust. Er war mein Baum, für unseren Sohn war Papa der Größte, in jeder Hinsicht.

Manchmal trifft mich die Erkenntnis, dass wir ihn nie wieder sehen mit voller Wucht. Aus dem Nichts, ohne Vorbereitung. Dann möchte ich mich nur noch zurückziehen und verkriechen.

Ich trage seinen Ehering an einer Kette um den Hals. Ich will, dass ihn jeder sieht, sich insgeheim die Frage stellt, ob das ein Ehering ist und dann dankbar ist, dass er/sie von so etwas Traurigem bisher verschont blieb. Ich möchte kein Mitleid.

Abarbeiten

Ich bin langsamer denn je. Egal ob ich Briefe schreibe, den Haushalt mache oder arbeite. Ich brauche für alles unendlich lange.

Folgende Dinge stehen an:

  • Rentenversicherungsantrag ausfüllen: Das ganze hat 2,5 Stunden bei einem ehrenamtlichen Berater gedauert. Dennoch fehlen noch einzelne Nachweise meines Mannes zum Abi und der Studienzeit. Außerdem fehlen noch Angaben meines Arbeitgebers.

  • Der Fahrzeugschein unseres Autos ist nicht zu finden. Also muss ich einen neuen beantragen, um das Auto verkaufen zu können. Wieder ein Behördengang mehr.

  • Erbschein: Ich habe ihn. Aber für die Berechnung der Gebühren muss ich wieder Formulare ausfüllen. Ich warte auf Rückmeldungen von Versicherungen und Banken.

  • Die Steuererklärung 2014 muss abgegeben werden. Bisher hat das mein Mann gemacht. Jetzt darf ich mich durchwühlen.

  • Wir benötigen ein neues Festnetztelefon und Internetzugang. Die alten Verträge liefen auf meinen Mann. Wir sind jetzt seit 3 Wochen ohne, d. h. ich kann auch nicht mehr Drucken. Der Drucker lief über das Wlan. Die Telekom lässt sich Zeit.

  • Ich muss einen Grabstein besorgen.

All das parallel zu meinem 40 Stunden Job. Ich bin müde.